World Kidney Day 2021

11. März 2021

"Gut leben mit einer Nierenerkrankung." Zu dem diesjährigen Thema des World Kidney Day hat unser Leitender Arzt Dr. med. Jan Brügger am 11. März 2021 ein Interview für Radio 1 gegeben. Hören Sie rein!

Jan Brügger ist Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie sowie Inhaber und Leiter des medizinischen Zentrums Nephro am See in Horgen. Nebst nicht-operativer Behandlung von Nierenkrankheiten sowie 23 Dialyse-Plätzen legt Nephro am See einen Schwerpunkt auf Beratung zu Risikofaktoren und vorbeugenden Massnahmen. Dank seiner langjährigen Spitalerfahrung ist Jan Brügger mit Biografien von Patientinnen und Patienten mit Nierenerkrankungen bestens vertraut. Anlässlich des World Kidney Days haben wir uns mit ihm über das Thema «Leben mit einer Nierenerkrankung» unterhalten. 
 
Herr Brügger, brauchen wir einen World Kidney Day?

Ich finde ja, unbedingt. Stellen Sie sich vor: Zehn von hundert Schweizerinnen und Schweizern leiden an chronischer Nierenerkrankung. Vielen Erkrankten ist dies allerdings nicht bewusst. Im Gegenteil: Man kann bis zu 90 % der Nierenfunktion verlieren, ohne etwas zu merken. Da ist Aufklärung geboten. Und der World Kidney Day kann durch seine Ausstrahlung besonders gut sensibilisieren.
 
Nun heisst das Motto des diesjährigen World Kidney Days «Gut leben mit einer Nierenerkrankung». Steckt in diesem Motto kein Widerspruch?

Es ist eine Frage der Perspektive. Bisher hat die Medizin bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Nierenleiden den Fokus vorwiegend auf die Krankheit gelegt. Je nach deren Verlauf versuchte man, die Nierenfunktion wieder herzustellen, das Leiden zu lindern oder die Lebenserwartung zu verlängern. Das ist alles gut und richtig, genügt aber aus heutiger Sicht nicht mehr. Der World Kidney Day postuliert, das soziale, berufliche und private Leben sowie Werthaltungen von Patientinnen und Patienten mit ins Zentrum zu rücken und zum Beispiel nach Ressourcen, Bewältigungsstrategien oder unterstützenden Faktoren zu fragen. Oder anders ausgedrückt: Es gilt, nicht in erster Linie eine Krankheit zu sehen, sondern den Menschen mit seinen gesunden und nicht gesunden Anteilen. So löst sich der vermeintliche Widerspruch auf.
 
Wollen nierenkranke Menschen denn nicht einfach, dass ihr Leiden geheilt wird?

Natürlich, und dieser Anspruch ist absolut legitim. In manchen Fällen ist das vielleicht rasch möglich, in anderen brauchen Patientinnen und Patienten viel Geduld. Zudem gibt es Menschen mit unheilbaren Nierenleiden. Und in allen drei Fällen soll es möglich sein, ein gutes Leben zu führen, aktiv zu sein und Vieles zu geniessen. Damit dies gelingt, ist ein Paradigmenwechsel notwendig.
 
Woran denken Sie konkret?

Zum Beispiel an Autonomie und Mitwirkung von Patientinnen und Patienten im ganzen Behandlungsprozess. An den Einbezug ihrer Werthaltungen und ihres Lebensstils. Dazu gehören ein transparenter Dialog sowie offene Kommunikation und Information. Patientinnen und Patienten fühlen sich manchmal fremdbestimmt oder machtlos und befürchten, die Kontrolle über ihre Gesundheit zu verlieren. Dabei ist genau das Gegenteil wichtig: Sie sollen im Sinne eines Self-Managements aktiv Verantwortung übernehmen und sich dabei als selbstwirksam erleben. 
 
Krank und aktiv sein – ein weiterer potenzieller Widerspruch?

Und genau deshalb spreche ich nicht gerne von kranken Menschen, sondern eher von Menschen mit gesunden und nicht gesunden Anteilen. Das sind wir nämlich alle. Wir haben bei Nephro am See Patientinnen und Patienten mit chronischen Verläufen, die beruflich und privat mit viel Leidenschaft engagiert sind und zahlreiche Beziehungen pflegen. Wir unterstützen sie dabei, indem wir Ihnen etwa flexible Behandlungszeiten anbieten oder mit ihnen über eine bewusste und gesunde Alltagsgestaltung sprechen.
 
Gibt es noch weiteren Veränderungsbedarf?

Ja, indem man eine Nierenkrankheit nicht isoliert betrachtet und behandelt, sondern sehr aufmerksam allfällige weitere Symptome wahrnimmt. Ich denke an Schmerzen, Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen, Stress, ungesunde Ernährung oder Bewegungsmangel. 
Der World Kidney Day fordert ein integriertes und ganzheitliches Symptommanagement. Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die Integration des unterstützenden Systems: Je nach Person gehören dazu etwa Familie, Freundinnen und Freunde oder Arbeitgebende. 
 
Es gibt offensichtlich einiges zu tun.

Es braucht nicht nur den World Kidney Day, sondern einen Perspektivenwechsel in Forschung, Praxis und Gesundheitspolitik. Es ist sinnvoll, sich dem ganzen Menschen, nicht nur seiner Krankheit zu widmen. Nebst modernster Medizin und Technologie sollten wir unsere Patientinnen und Patienten in ihrer Selbstverantwortung und in ihren Ressourcen stärken. Sie sind die kompetenten Managerinnen und Manager ihres Lebens, und wir medizinischen Expertinnen und Experten sollten partnerschaftlich an ihrer Seite stehen.
 
Nochmals kurz zurück zur Nierenerkrankung: Gibt es dafür eigentlich Risikofaktoren?

Ja, man weiss aus zahlreichen Studien, dass sich insbesondere Bluthochdruck und Diabetes als ausgeprägte Risikofaktoren erweisen. Zudem spielt die Familiengeschichte eine Rolle: Wenn in Ihrer Familie Nierenerkrankungen vorkamen, ist Ihre Disposition etwas höher. Und last but not least: Was für die Gesunderhaltung von Körper und Geist im Allgemeinen gilt, trifft für die Nieren ganz besonders zu: Übergewicht, etwa durch den Konsum von zu vielen Fertigprodukten, und Rauchen erhöhen das Risiko einer Erkrankung.
 
Angenommen, ich erkenne gewisse Risikofaktoren und möchte wissen, ob meine Nieren gesund sind. Was raten Sie mir?

Zwei einfache Kontrollen: Ein Bluttest misst das Kreatinin und überprüft die Filterfunktion, ein Urintest zeigt den «Albumin-Kreatinin-Quotienten» an. Bei Nephro am See ergänzen wir die beiden Tests häufig durch eine Ultraschall-Untersuchung der Nieren. Solche Vorsorgetests sind unkompliziert, geben eine klare Antwort und sind daher jeder Person zu empfehlen.

#worldkidneyday

Publikation zum Thema "Living well with kidney disease"